Liebe Gemeinde,
als jemand, der seit Kindheitstagen im Karneval zu Hause ist, gehört der Februar für mich mit zu den schönsten Monaten im Jahr.
Denn nun strebt sie ihrem Höhepunkt zu, die „fünfte Jahreszeit“. Es kommen die Tage, um sich in das ausgelassene Treiben der Narren zu stürzen, bevor dann wieder der Schlager erklingt: „am Aschermittwoch ist alles vorbei.“
Ist das eigentlich so?
Der „Kehraus“ am Karnevalsdienstag macht es jedes Jahr deutlich: Es gibt eine Zeit für Spaß und Vergnügen, es gibt aber auch eine Zeit für Nachdenken und Stille. Beides gehört zum Leben.
Aber vielleicht ist der Umbruch gar nicht so groß, wie man meint. Auf ihre je eigene Weise haben Karneval und Fastenzeit dasselbe Anliegen: Sie durchbrechen den Alltag und stellen die Dinge auf den Kopf. Kinder oder Narren übernehmen vielerorts im Land die Rathausschlüssel, um zumindest symbolisch zu zeigen: Es geht auch anders. Wir sind es gewohnt, dass die einen oben an der Macht sind und die anderen unten im Volk – aber auch die „Kleinen“ sind wichtig. Das kennen wir auch aus der Heiligen Schrift:
„Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“
singt Maria im Magnifikat, als ihr bewusst wird, dass Gott Großes mit ihr und ihrem Kind vorhat. In unserem Glauben geht es auch um eine neue Weltordnung.
Ganz so ernst meinen wir es im Karneval denn doch nicht. Es ist nur ein oberflächlicher Umbruch, es sind nur ein paar Tage, an denen scheinbar alles anders wird – und wir zelebrieren dieses „Andere“ im Wissen, dass wir wieder zur „guten alten“ Ordnung zurückkehren werden.
Dennoch kann diese Zeit, wenn sie gut gestaltet wird, eine reinigende und klärende Wirkung haben. Denn sie macht ein kleines Fenster auf und zeigt, wie es auch anders gehen könnte. Eine gute Büttenrede hält den Menschen einen Spiegel vor. Fasching, Fastnacht, Karneval: Sie zelebrieren die Eitelkeiten der Welt in übertriebener und lächerlicher Form, im besten Falle, um sie zu entlarven. Wer gut zuhört, der wird vielleicht bescheidener und aufmerksamer.
Auch die Fastenzeit will ein solcher Spiegel sein. In der Fastenzeit geht es nicht um exzessive Bußübungen oder darum, besonders fromm zu werden. Es geht zum einen darum, zu entdecken, wer wir wirklich sind – jenseits der Oberflächlichkeit und Eitelkeit, jenseits des Konsums, der uns oft von den eigentlichen existentiellen Fragen unseres Lebens ablenkt. Die Fastenzeit lädt uns ein, „anders“ zu werden und gerade darin mehr „ich selbst“ zu sein.
Und zum anderen lädt sie uns ein, unseren Blick wieder neu auf Gott hin auszurichten, unseren Weg mit Ihm zu gehen.
Die Fastenzeit ist kein Zerrspiegel wie der Karneval, der unsere Ecken und Kanten hervorhebt und lächerlich macht. Sie ist vielmehr die Einladung, dass wir durch den Verzicht auf Dinge, die uns ablenken, vielleicht sogar belasten und durch bewusst frei gehaltene Zeit für Stille und Gebet uns selbst klarer sehen: so wie im Spiegel einer Wasseroberfläche, die erst dann ein klares Bild zeigt, wenn sich die Wellen verlaufen haben und alles still geworden ist. Erst dann sehen wir, wie es wirklich um uns bestellt ist.
Vielleicht sehen wir auch mehr als das: Vielleicht sehen wir wieder neu, dass Einer mit uns in den Spiegel schaut – und uns dabei samt unseren Fehlern und Narben liebevoll anblickt.
Nach den Karnevalstagen werden uns 40 Tage geschenkt, um aufmerksam zu werden, damit wir erkennen können, wo es eine Umkehr oder Neuorientierung braucht, um mit Christus am Ostermorgen als veränderte Menschen auferstehen zu dürfen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine fröhliche Karnevalszeit und eine fruchtbare und gnadenreiche Fastenzeit
Kaplan Sven G. Merten