St. Bonifatius Wiesbaden

Unüberwindliche Grenzen und berührende Begegnungen

Gemeindebrief, Gesichter der PfarreiPhilippe Jaeck

Marion Lindemann erzählt im Interview von ihren 40 Berufsjahren als Gemeindereferentin

Marion Lindemann, seit 2002 in der Pfarrei St. Bonifatius in Wiesbaden tätig, kann in diesem Jahr ein besonderes Jubiläum begehen: Sie ist 40 Jahre als Gemeindereferentin tätig. Die 63-jährige gebürtige Marburgerin hatte 1982 mit ihrem Anerkennungsjahr in Lahnstein begonnen. Im Interview erzählt sie, wie sich ihr „Traumberuf“ in der alltäglichen Praxis im Laufe der vier Jahrzehnte entwickelt hat.

Warum sind Sie Gemeindereferentin geworden?

Begonnen hat alles in Biedenkopf, wo ich aufgewachsen bin und in einer katholischen Jugendgruppe eine bodenständige, kompetente Gemeindereferentin mit Charisma kennengelernt habe. Zu ihr und dem Pfarrer hatten wir Jugendlichen einen guten Draht. Wir wurden als junge Menschen in der Gemeinde gefördert und eingebunden. Anfangs war mein Berufswunsch trotzdem noch vage, „etwas Soziales“ sollte es sein. Ich wünschte mir, mit verschiedenen Altersgruppen zu arbeiten. In welchem anderen Beruf gibt es schon so eine Bandbreite wie bei der Gemeindereferentin. Ja, und mein Glaube war mir wichtig. In unserer „Meditationsgruppe“ tauschten wir uns regelmäßig über persönliche Erfahrungen aus und sonntags saßen wir Jugendlichen zusammen in derselben Kirchenbank, auf der rechten Seite, in der siebten Reihe.

Den letzten Ausschlag gab ein Austausch mit zwei Jugendlichen, die mich gut kannten. Der eine fragte, ob Gemeindereferentin etwas für mich wäre, weil ich doch pädagogisches Geschick habe. Die andere studierte bereits an der katholischen Fachhochschule in Mainz und konnte mir viele Fragen beantworten. Danach entschied ich mich und bewarb mich beim Bistum Limburg. „Gemeindereferentin“ war jetzt mein absoluter Traumberuf.

Wie erinnern Sie sich an Ihre Anfangszeit?

Das Studium an der Fachhochschule Mainz hat mich darin bestätigt, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Die Lehrkräfte, ob promoviert oder mit Professorentitel, sind uns Studierenden immer auf Augenhöhe begegnet. Dort ausgebildet zu werden, stellte sich als echter Glücksgriff heraus, denn wir haben dort eine Kirche des Aufbruchs erlebt. Insbesondere daran erinnere ich mich mit großer Freude.

In die berufliche Praxis bin ich mit viel Energie und Idealismus gestartet. Das auf der Fachhochschule Erlernte und Erfahrene wollte ich auf jeden Fall in meine alltägliche Arbeit einbringen. So mein Wunsch.

Während es im Anerkennungsjahr noch viele Möglichkeiten gab, mich auszutauschen, war ich in den ersten Jahren als Gemeindereferentin in vielen Situationen auf mich alleine gestellt – trotz guter Kollegen und Kolleginnen und Unterstützung durch das Bistum, z.B. durch Supervision.

Ich erlebte in manchen Stationen meines Berufslebens, dass ich als Frau in der Kirche benachteiligt und ausgegrenzt werde. Ich habe allerdings auch erfahren, dass Menschen zu mir kommen, gerade weil ich eine Frau bin.

Nach und nach habe ich auf meinen Stationen Erfahrungen in ganz unterschiedlichen Umfeldern sammeln können, auf dem Land und in der Stadt, in sozialen Brennpunkten und in eher begüterten Gemeinden. Fünf Jahre war ich außerdem bei den Missionsärztlichen Schwestern. Nach dem Noviziat in der Essener Niederlassung habe ich drei Jahre als Schwester in der Pfarrgemeinde mitgearbeitet, in der wir wohnten. Doch obwohl das „Apostolat des Heilens“ mich sehr anspricht, war ich letztendlich nicht bereit „in jedem Teil der Welt“ in einer Niederlassung der MMS zu arbeiten. Ich hatte dort aber eine intensive Zeit, die mich geprägt hat.

Vom Bistum Essen wollten Sie zurück nach Limburg?

Ja, das wollte ich unbedingt, weil das Bistum Limburg in manchen Dingen schon weiter war. Hier hatte sich in den Jahren, in denen ich weg war, einfach sehr viel geändert. Nicht geweihte Seelsorger konnten zum Beispiel Pfarrbeauftragte werden. Alleine, dass das möglich war, auch für Frauen, hat das Berufsbild verändert, hin zu deutlich mehr Selbstständigkeit und Verantwortung. Bekanntlich ist ja vieles davon in der Zeit von Bischof Tebartz-van Elst wieder zurückgenommen worden. Es hängt halt immer von der Bistumsleitung ab – gut, dass sich mit Bischof Bätzing wieder Türen geöffnet haben.

Ich habe unter anderem in der Dompfarrei in Limburg gearbeitet und bin dann auf eigenen Wunsch hin nach Wiesbaden versetzt worden. Ich wollte wieder mehr im städtischen Umfeld tätig sein und näher an meinem Freundeskreis in Frankfurt. In der Pfarrei St. Bonifatius war ich lange Zeit am Kirchort Bonifatius in der Innenstadt und acht Jahre als Ansprechpartnerin für den Kirchort St. Michael zuständig. Die Zusammenarbeit mit engagierten Frauen und Männern vor Ort, die ökumenische Zusammenarbeit und die Kooperation mit der Kita war bereichernd. Dort loszulassen und einen neuen Schwerpunkt zu übernehmen, war zunächst schmerzlich. Zumal der Prozess mit einer weiteren Fusion unserer Gemeinde einherging.

Wie sieht denn Ihre aktuelle Aufgabe in Wiesbaden aus?

Seit zwei Jahren ist die Altenheimseelsorge mein Schwerpunkt. Ich koordiniere übergeordnete Aufgaben und bin selber in sechs der 13 Heime auf unserem Pfarrgebiet tätig. Dabei schätze ich den überwiegend guten Kontakt mit den Sozial- und Pflegekräften in den einzelnen Einrichtungen, die mir viel Vertrauen entgegen bringen und mich als Ansprechpartnerin suchen, wenn ihnen etwas auf der Seele liegt. Auch zu Bewohnerinnen und Bewohnern entwickeln sich im Laufe der Zeit dauerhafte Beziehungen. Es ist so wichtig, dass wir als Kirche dort präsent sind und ansprechbar, ob es um die Sorge vor einem Burnout aufgrund der hohen Arbeitsbelastung geht, um religiöse Fragen, um Themen wie Einsamkeit oder Sterben, die sonst im Alltag untergehen. Dass ich mir für solche Gespräche Zeit nehmen kann, ist ein großes Plus meines Berufes. Das mache ich sehr gerne! Wirklich wichtig ist, dass wir Ehrenamtliche gewinnen für Besuchsdienste und für die Gestaltung der Gottesdienste, die wir mindestens einmal im Monat in jedem Haus anbieten. Im Frühjahr möchte ich zusammen mit einer qualifizierten Referentin einen Fortbildungskurs über vier bis fünf Abende starten. Wir hoffen, dass sich einige Frauen und Männer mit uns auf den Weg machen.

Wenn Sie auf die 40 Jahre zurückschauen, wie fällt Ihr Resümee aus?

Zunächst mal staune ich darüber, dass ich schon so lange diesen Beruf ausübe, dass ich mit all den Hindernissen und Klippen, die dieser Beruf mit sich bringt, zurecht gekommen bin. Meinen Wunsch das einzubringen, was ich selber in jungen Jahren so positiv erlernt und erlebt habe, gelingt immer wieder mal. Dass meine Ideale immer wieder an „unüberwindliche“ Grenzen gestoßen sind, sich an Macht- und Strukturfragen gerieben haben, gehört ebenso zu einem kirchlichen Beruf wie berührende Begegnungen und ein tieferes Hören auf einen bekannten Bibeltext.

Als junge Gemeindereferentin habe ich mich manches Mal gefürchtet: ob ich die nächste Hürde schaffe, den Erwartungen, die an mich gestellt werden, gerecht werde. Ob der Elternabend, die Kinderfreizeit, die Erstkommunion „gelingt“. Das biblische „Fürchte dich nicht!“ ist für mich zu einer Inspiration und Kraftquelle geworden, gerade in Zeiten, wo sich vieles verändert. Das Gegenteil von Angst ist nicht nur Mut, sondern vor allem Vertrauen. Und dieses grundlegende Vertrauen wünsche ich allen, die in diesen unsicheren Zeiten ihren Weg suchen.

Das Interview führte Barbara Reichwein