St. Bonifatius Wiesbaden

Christkönig

GemeindebriefPhilippe Jaeck

Der lange Weg unseres „Großen Herrgotts“ von St. Elisabeth nach Wintrich

Hoch über dem Moselstädtchen Wintrich steht in der Weinlage „Der Große Herrgott“ ein Betonkreuz mit einer Höhe von 8,07 Metern und einer Breite von 5,25 Metern. Der Weinberg trägt seinen Namen schon viele Jahrzehnte, das Kruzifix hat seinen Platz dort erst 1968 erhalten. Dass sich die Beiden gefunden haben, war Zufall.

Das Schicksal des großen Kreuzes ist eng mit unserer Kirche St. Elisabeth verbunden.

Für das Kloster St. Elisabeth im Wiesbadener Westend, das schon seit 1921 bestand, stand die Einweihung der ersten Steinkirche bevor. Bisher hatte man sich mit einem Provisorium beholfen. Am 29. März 1936 sollte die Kirchweihe sein. Zentriert war die Ausrichtung der Architektur der Kirche auf ein hinter dem Hochaltar stehendes großes Kreuz.

Wenige Tage vor der Konsekration begutachteten Sachverständige vom Ordinariat aus Limburg und der damalige Wiesbadener Regierungsbaumeister die Kirche. Der Bau wurde, mit Ausnahme der Fenster, als gut bezeichnet. Die Gestaltung des Kreuzes aber wurde heftig kritisiert. „Diese Arbeit entspricht in keiner Weise den Anforderungen, die sowohl in liturgischer wie in künstlerischer Sicht an ein Kunstwerk gestellt werden müssen“, das an einer so hervorragenden Stelle des Gotteshauses aufgestellt wäre. Das Kreuz müsse entfernt werden. So entschied dann auch der damalige Bischof Dr. Antonius Hilfrich am 23. März. Massive Interventionen der Franziskaner für den Verbleib halfen nicht. Am 26. März schrieb Pater Wilke, der für die Kirche zuständige Pfarrer, nach Limburg: „Ich melde hierdurch, dass die Kreuzabnahme geschehen ist.“. Den Altarraum schmückte bei der Konsekration ein mit einem Kruzifix geschmücktes Tuch.

Das Kreuz war ein Werk der Mainzer Künstlerin Lucy Hillebrand, die bis 1933 als Architektin tätig war. Jetzt durfte sie als Halbjüdin ihren Beruf nicht mehr ausüben und schuf nun Reliefs und Plastiken. Nachdem sie von der Entfernung des Kreuzes aus der Kirche erfahren hatte, intervenierte auch sie in Limburg. Ebenfalls vergeblich.

Dass sie Nichtarierin sei, wurde sogar in einem Brief eines Mitgliedes der Pfarrgemeinde nach Limburg erwähnt, um eine weitere Verwendung des Kunstwerkes zu verhindern.

Das Kreuz lagerte im Keller unserer Kirche und wurde vergessen, ebenfalls der Name der Künstlerin.

Nach dem Krieg wurde das Kreuz den Franziskanern in Kelkheim-Hornau geschenkt. In fünf Teile zerlegt lagerte es dort in einer säkularisierten Kirche.

Dort entdeckte es in den 1960er-Jahren der Lehrer Josef Reinhard aus Wintrich durch Zufall. Einige Jahre vergingen, bis er das Kruzifix im Detail besichtigen konnte. Ihm bot sich ein Bild des Jammers. Es wurde ihm erzählt, dass die Figur ein Künstlermönch in zusammensetzbaren Einzelteilen geschaffen habe. „Das wäre der richtige große Herrgott für Wintrich“, schrieb er später. Und so kam es auch. Nach Freigabe durch die Franziskaner gegen ein paar Flaschen Moselwein, wie man erzählt, wurden die Einzelteile im Jahr 1968 nach Wintrich transportiert und dort in der Weinlage „Der große Herrgott“ aufgestellt. Von dort wacht das Kreuz seither über der Mosel.

Den Namen der Künstlerin hat Frau Schade, eine ehemalige Lehrerin des benachbarten Leibniz- Gymnasiums, Kirchenführerin und in der Kirchengemeinde wohl bekannt, bei Vorbereitung einer Kirchenführung in St. Elisabeth vor einigen Jahren im Archiv in Limburg entdeckt.

Lucy Hillebrand hat den Holocaust überlebt, im Gegensatz zu ihrer Mutter, die sich 1942 vor der Deportation umgebracht hat. Frau Hillebrand war nach dem Krieg wieder als Architektin tätig. Nach ihren Entwürfen wurden neben Wohngebäuden auch die kath. Kirche auf Langeoog gebaut.

Seit 1925 feiert die Kirche das Christkönigsfest. 1926 wurde in Mainz-Bischofsheim die erste Christkönigskirche geweiht. Pater Wilke war begeistert von dem Kreuz in seiner Kirche: „ein König auf dem Herrscherthron des Kreuzes“.

Es ist bedauerlich, dass das Kreuz damals aus der Kirche entfernt wurde. Es war Ausdruck des Glaubensverständnisses der Erbauer der Kirche und stand im Einklang mit der architektonischen Umsetzung des gesamten Kirchenraumes. Ein „Großer Herrgott“ hätte der damaligen Zeit auch sehr gut getan.

Das 75-jährige Jubiläum der Kirche St. Elisabeth gab Anlass, eine Fahrt zu unserem Großen Herrgott zu planen.

Bedingt durch Corona und die Neuorganisation der Pfarrei in Wintrich musste die Fahrt immer wieder verschoben werden.

Am 07. September 2024 war es dann aber soweit. Pünktlich um 9 Uhr startete der Bus an der St. Bonifatiuskirche. Bei herrlichem Sonnenschein ging die Fahrt über die Hunsrückhöhenstraße nach Wintrich.

Zur Einstimmung auf den Weg zum Großen Herrgott hoch oben in den Weinbergen wurde in der dortigen Pfarrkirche eine Andacht gefeiert. Das Beten des Rosenkranzes erleichterte den ca. ½ stündigen Anstieg zum Kreuz, wo Herr Pfarrer Nebel dann seine Gedanken angesichts des Kreuzes darlegte:

„Weit sichtbar steht es da, hoch über der Mosel in den Weinbergen auf einem Felsvorsprung, das Kreuz des „Großen Herrgott“. Nicht der leidende Christus wird hier sichtbar: Es ist vielmehr jener Christus, der den Tod bereits erlitten hat und wieder zum Leben auferstanden ist. Sein Blick ist in die Ferne gerichtet und weist ihn damit als den aus, der Welt und Geschichte im Ganzen im Blick hat, ihr gegenüber vollkommen souverän ist, ja der alles in seinen Händen hält.

Diese Souveränität über die Geschichte des Menschen beeindruckt. Und sie wird in der Geschichte dieses Kreuzes selbst greifbar. Das Kreuz, das ursprünglich für die St. Elisabeth-Kirche in Wiesbaden bestimmt war, musste noch vor der Einweihung der Kirche dort wieder abgebaut werden. Vermutlich spielte damals der jüdische Hintergrund der Künstlerin dabei eine Rolle: So hat die Entfernung des Kreuzes auch eine antisemitische Konnotation. Lange war es dann eingelagert und vor den Augen der Menschen verborgen.

Jetzt aber lässt es uns erahnen, wie Gott wirkt: Was abgebaut und versteckt werden sollte, steht nun sichtbar in aller Öffentlichkeit da. Mehr als je zuvor. Gott erweist sich über allem schließlich im gekreuzigten und auferstandenen Christus als Herr der Geschichte, der vermag, alles zum Guten zu führen“.

Zu unserer Pilgerschar war zwischenzeitlich auch Herr Pfarrer Comes, der Seelsorger der Pfarrei Osann-Monzel, zu der der Kirchort Wintrich jetzt gehört, gestoßen. Er hatte mit den Angehörigen seines Pfarrbüros bei der Planung und Organisation der Fahrt sehr geholfen und freute sich jetzt, uns persönlich begrüßen zu können.

Da in Wintrich an diesem Wochenende Weinfest war, war für Speise und Trank bestens gesorgt. Wir haben uns auch den dazugehörenden Festzug angesehen.

Den Abschlussgottesdienst feierten wir wieder mit Herrn Pfarrer Nebel in der Pfarrkirche, der dabei auch der Künstlerin Lucy Hillebrand gedachte.

Bei der Hin- und Rückfahrt gab Schwester Katrina Dzene die geistlichen Impulse und Frau Schade erzählte sehr eindrucksvoll und detailliert vom Schicksal der Künstlerin und des Kreuzes und wie es gerade diesen Platz an der Mosel gefunden hatte.

Besser hätte es unser „Herrgott“ nicht treffen können. Auch wenn wir ihn gerne bei uns behalten hätten, so freuen wir uns doch mit ihm über seinen beherrschenden Platz im Moseltal.

Peter Lesko, Kirchort St. Elisabeth

„Jesus Christus ist der treue Zeuge,
der Erstgeborene der Toten,
der Herrscher über die Könige der Erde.
Ihm, der uns liebt
und uns von unseren Sünden erlöst hat durch sein Blut,
der uns zu einem Königreich gemacht hat
und zu Priestern vor Gott, seinem Vater:
Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen.
Siehe, er kommt mit den Wolken
und jedes Auge wird ihn sehen,
auch alle, die ihn durchbohrt haben;
und alle Völker der Erde
werden seinetwegen jammern und klagen.
Ja, Amen.
Ich bin das Alpha und das Ómega, spricht Gott, der Herr,
der ist
und der war
und der kommt,
der Herrscher über die ganze Schöpfung.“

Offb 1,5b-8