Interwiev mit Pfarrer Ahlers
Auf unserer Reise sind wir schon bei den evangelischen Gemeinden, der Alt-Katholischen und der Anglikanischen Gemeinde vorbei gekommen. Heute machen wir Station bei einer weiteren evangelischen Gemeinde. Warum wir hier halten, erfahren wir jetzt im Gespräch:
Pfarrer Ahlers, für uns Katholiken ist in der Außensicht die Evangelische Kirche ein einheitliches Gegenüber. Pfr. Günther hat uns zwar schon von der evangelischen Bandbreite erzählt; dass es aber eine eigene Evangelisch-Lutherische Gemeinde in Wiesbaden gibt, ist den wenigsten bewusst. Auch ich selbst bin erst über die Homepage der ACK darauf gestoßen. Was heißt es, dass die Christuskirchengemeinde zur Selbstständig Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) gehört?
Zwischen 1817 und 1880 sind in Deutschland einzelne selbstständige lutherische Minderheitskirchen entstanden, vor allem in Preußen, Sachsen, Hessen und Hannover. Anlass dazu war jeweils die vom Staat eingeführte „Union“ (Vereinigung) von lutherischen und reformierten Kirchen, die zu einer „evangelischen Kirche“ vereinigt wurden. Viele Lutheraner lehnten diese Union ab. Hauptgrund dafür war ihre feste Überzeugung, dass Kirchenlehren, die einander ausschließen, in einer Kirche nicht das gleiche Recht haben können. Das gilt z.B. für die unterschiedliche Lehre von Lutheranern und Reformierten über das Heilige Abendmahl. Es ging also darum, der lutherischen Kirche die Eigenständigkeit ihres Bekenntnisses und ihres Gottesdienstes zu sichern. Da beides in den nunmehr unierten Landeskirchen nicht mehr möglich war, wollten die Lutheraner die Selbstständigkeit ihrer Verfassung (wieder) erringen.
Die Selbstständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) ging 1972 aus dem Zusammenschluss der bis dahin eigenständigen kleinen lutherischen Kirchen hervor.
Die Christuskirchengemeinde Wiesbaden hat ihre Wurzeln in der Zeit nach der Union im Herzogtum Nassau. Ab 1849 wurden regelmäßige lutherische Gottesdienste in Wiesbaden gefeiert. Es entstanden mit der Zeit drei kleine lutherische Gemeinden in der Stadt, die sich 1972 zur Christuskirchengemeinde Wiesbaden in der Daimlerstraße zusammen schlossen.
In meinem Studium habe ich an einem ökumenischen Seminar unter Leitung von Prof. P. Löser SJ und Prof. Buchrucker, Mitglied der SELK, teilgenommen. Da hat Prof. Buchrucker den, sicher sehr überspitzten, Satz geprägt: „Der Graben zwischen Wittenberg und Rom ist weniger breit als zwischen Wittenberg und Genf!“ Wie stehen Sie zu diesem Wort?
Klar ist der Satz ein wenig überspitzt. Aber im Grunde liegt Prof. Buchrucker damit ganz richtig, dass uns als lutherische Kirche viel mehr mit der Römisch-Katholischen Kirche eint, als oft gedacht. Spontan denke ich da an die zentrale Frage der Schriftauslegung, an das Bekenntnis zu der leibhaften Gegenwart unseres Herrn im Heiligen Abendmahl, an eine reiche liturgisch-gottesdienstliche Tradition und Fragen der Ethik. Andersherum trennt uns Lutheraner tatsächlich einiges von den evangelischen Kirchen, obwohl wir in der Reformation unsere gemeinsamen Wurzeln haben. Meiner Meinung nach ist der „Graben“ zwischen der lutherischen Kirche und den Evangelischen Landeskirchen in den letzten Jahren leider größer geworden.
Erfreulich ist, dass die SELK seit 2008 mit der Römisch-Katholischen Kirche einen geordneten theologischen Dialog führt. Schön, wenn dieser Dialog auch dazu führt, dass wir uns gegenseitig näher kommen, oder zumindest Vorurteile abzubauen hilft.
Wie sehen Sie die Evangelisch-Lutherische Gemeinde im ökumenischen Konzert Wiesbadens und was wäre für Sie wünschenswert von Seiten St. Bonifatius?
Die bekenntnisgebundene lutherische Kirche hat traditionell – auch bedingt durch ihre Entstehungsgeschichte – gegenüber der Ökumene eine eher zurückhaltende Stellung eingenommen. Dieses hat sich aber in den letzten Jahrzehnten geändert, und die SELK hat immer mehr ihre grundsätzliche ökumenisch ausgerichtete Verpflichtung und Verantwortung erkannt.
Die SELK versteht sich als Teil des Weltluthertums. Sie ist mit anderen bekenntnisgebundenen lutherischen Kirchen verbunden im Internationalen Lutherischen Rat (ILC), aber pflegt auch unterhalb der Ebene von offiziell festgestellter Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft Beziehungen zu Kirchen vor Ort und in aller Welt. So ist die SELK Vollmitglied in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), in der lokal auch unsere Christuskirchengemeinde Wiesbaden vertreten ist.
Ich freue mich über den durch die ACK entstandenen Kontakt zu anderen Gemeinden vor Ort. Ich bin z.B. auch dankbar, dass ich über diesen Weg Ihrer Pfarrei St. Bonifatius unsere Gemeinde vorstellen kann. Ich würde mir wünschen, dass wir miteinander im Gespräch bleiben, und auch gezielt ökumenische Veranstaltungen gemeinsam feiern, um damit unsere Verbundenheit durch unseren einen Herrn und Heiland Jesus Christus zum Ausdruck zu bringen; eine Verbundenheit, die über alle als schmerzlich empfundenen Kirchengrenzen hinausgeht.
Die Fragen an Pfr. Ahlers stellte Pfr. Ohlig