Auf unserer Reise durch die ökumenische Landschaft unserer Pfarrei, waren wir bisher weitgehend bei Gemeinden des reformatorischen Spektrums zu Gast. Nun nehmen wir eine Gemeinde der Orthodoxie orientalischer Tradition in den Blick. Wir sind zu Gast bei der Koptischen Gemeinde, die in unserer St. Mauritius Kirche Heimat gefunden hat. Erzdiakon Mina Ghattas hat bereitwillig viel von seiner Kirche erzählt.
Seit 2 Jahren ist die Koptisch orthodoxe Gemeinde zu Gast in St. Mauritius. Diesen heiligen Ägypter haben Sie auch zum zweiten Patron erwählt. Was bedeutet dies für Ihre Gemeinde?
Der Heilige Mauritius ist für uns ein bedeutender Heiliger und Märtyrer. Nicht nur, dass er, wie wir Kopten, bereits im 3. Jahrhundert in Europa, im Wallis in der Schweiz lebte, er hat auch ein standhaftes Zeugnis für Christus und somit für Gott in dieser Welt abgegeben. Wir sind stolz, Teil dieser apostolischen Familie sein zu dürfen und nicht nur als Gäste wahrgenommen zu werden, sondern als Geschwister im christlichen Glauben. Die Liebe, die aus dem Heiligen Geist entspringt, verbindet uns als Christen in der Teilung eines gemeinsamen Gotteshauses und Zentrums.
In der Diaspora betonen wir Kopten die Standhaftigkeit, den Glauben dieses Heiligen, das ist für uns als Migrationskirche besonders wichtig. Die Kopten haben nicht nur das Christentum in den ersten Jahrhunderten nach Deutschland und Europa gebracht, sondern Mauritius wurde später sogar zum Patron des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Er soll ja die Heilige Lanze, die Lanze des Longinus, mit der Christus am Kreuz durchbohrt wurde, mitgebracht haben, und diese wurde im Mittelalter hierzulande als Staatsheiligtum verehrt. Aber die Kopten haben damals nicht nur durch die Glaubensverbreitung, durch die Thebaische Legion und Ihr Martyrium ihren Beitrag geleistet, wir Kopten sind auch stolz, damals wie heute einen Teil der zivilisatorischen Geschichte dieser Region mitgestaltet zu haben. Heute sind wir Migrationskirche mit starken Bistümern in den USA, Kanada und Australien. Deswegen berufen wir uns immer auf das, was die koptischen Heiligen in ihrer eigenen Migration in die Ankunftsländer mitgebracht haben. Das verbindet uns mit vielen anderen Christen mit ähnlicher Erfahrung. Wir sind dankbar für die liebevolle Aufnahme in den katholischen Gotteshäusern und die Verbundenheit, die wir dabei erfahren.
Was sollten wir von der Koptischen Kirche wissen? Was unterscheidet die Koptisch-orthodoxe Kirche von anderen Kirchen der Orthodoxie?
Die koptische Kirche gehört zu den ältesten Kirchen der Welt. Sie wurde 61–68 nach Christus vom Apostel und Evangelisten Markus begründet. Markus war der erste Papst Alexandriens und der koptisch-orthodoxen Kirche und erlitt 68 das Martyrium. Im Hause des Apostels und Evangelisten Markus fand das letzte Abendmahl, das Jesus Christus mit seinen Jüngern feierte, am sogenannten Gründonnerstag vor seiner Kreuzigung am Karfreitag statt.
Bereits die wichtigen Propheten und die Geschichte des Alten Testaments finden ihre Anfänge in Ägypten: Abraham, Moses, Jakob und seine 12 Söhne, die 12 Stämme Israels waren in Ägypten. Die Exodusgeschichte des Volkes Israel findet dort statt, und viele weitere wichtige Ereignisse.
Die Kopten haben viel christliches und theologisches Wissen nach Europa mitgebracht und das heutige Gottesbild mit dem Glaubensbekenntnis zum dreieinigen Gott entscheidend geprägt. Sie waren damit sehr frühe Brückenbauer für das Christentum des Orients und somit wichtig im Ökumenischen Dialog.
Wir versuchen in dieser Gemeinschaft auch Botschafter für Jesus Christus zu sein, der uns in unserem Heimatland segnete. Diesen Segen tragen wir auch nach Europa, um das Christentum auch hier in seinem Bestand zu festigen und zu unterstützen.
Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtiger denn je, dass wir in einer christlichen Familie zusammenhalten, als ein Leib in Jesus Christus, und immer wieder Zeugnis für die Wahrheit in Jesus Christus abgeben.
Es gibt schon Unterschiede, aber unsere Kirchen betonen beide gleichzeitig sowohl die göttliche wie auch die menschliche Natur Jesu Christi. Die Kopten waren keine Staatskirche wie zum Beispiel die Byzantinische Kirche, sondern war immer eine Kirche, die der dauernden Verfolgung ausgesetzt war. Das hat sie gestärkt. Wir haben einige wenige Unterschiede in der liturgischen Gottesdienstfeier, aber es sind eigentlich nur wenige Unterschiede. Sie hat, wie die Kirche von Antiochia, die Urform bewahrt und den Ursprung im Übergang aus dem Jüdischen ins Christliche auch in ihren jeweiligen Traditionen tief verankert. Sie hat sich weder Byzanz noch Rom angeschlossen, war als Schwesterkirche aber immer theologisch und apostolisch mit beiden verbunden. Die Marienverehrung ist bei uns ganz besonders wichtig, da die Heilige Jungfrau mehrfach in Ägypten erschienen ist und sie das Land erst vor wenigen Jahren mit ihrer Erscheinung auf die Situation, die wir gerade durch die Pandemie und Christenverfolgung erfahren, behüten und vorbereiten wollte. Wir haben eine sehr tiefe Heiligenverehrung, weil wir uns an dem Zeugnis der Heiligen für Christus Jesus orientieren wollen. So wie Christus sagte: „Lasst Euer Licht vor den Menschen leuchten, damit die Menschen an Euren Werken Euren Vater im Himmel preisen“. Wir verehren die Heiligen für ihren standhaften und wahren Glauben, teilweise bis zu ihrem Tod für Jesus Christus im Martyrium, wie anderen orthodoxe Kirchen auch. Aber keine Kirche hat so viele Märtyrer wie die Koptische. Allein unter Kaiser Diokletian schätzt man, gab es 1 Millionen Kopten, die für das christliche Glaubenszeugnis das Martyrium erlitten haben und von ihm getötet wurden. Mit dem ersten Regierungsjahr des Kaisers Diokletian beginnt auch der koptische Kalender.
Die Märtyrer sind der Boden, auf dem unsere Kirche erbaut wurde. Ihr Blut, das vergossen wurde, erinnert uns immer wieder an das Beispiel Jesu Christi am Kreuz und motiviert uns, Christus Jesus in allem zu folgen.
Wie steht es um den Kontakt mit dem katholischen Kirchort? Was ist entstanden und was wünscht Ihr Euch?
Gibt es auch Kontakte zur evangelischen Thomasgemeinde, zu der der Kirchort St. Mauritius gute Verbindung pflegt?
Bisher gab es Ökumenische Gebete mit der Katholischen Kirche und mit der Thomasgemeinde in Wiesbaden. Leider konnte der letzte Termin nicht wahrgenommen werden, aber wir hoffen auf eine baldige ökumenische Begegnung. Das ist immer noch in Planung. Ich selbst war lange Zeit Teil der evangelischen Jugend im Evangelischen Jugendring in Wiesbaden und als deren Delegierter in der Evangelischen Kirche Hessen Nassau vertreten. Der Heilige Thomas, einer der Jünger Jesu Christi, verfasste ja ein Evangelium, dass nicht im Kanon aufgenommen wurde. Es wird auf 48 nach Christus datiert und gilt damit als Zeitzeugen-Evangelium. Die Urfassung ist in Ägypten. Das verbindet uns als Koptisch-Orthodoxe Kirche mit dem Namen Thomas. Dieses Evangelium dient auch dazu, die Wahrheit und das Leben Unseres Heilandes und Gottessohnes Jesu Christi besser zu verstehen. Thomas berührte Jesus Christus nach seiner Auferstehung als einziger Mensch und gab dafür das entscheidende Zeugnis ab. Vieles verbindet uns als Christen nicht nur mit Evangelisch-Lutherischen Christen, wir haben viel mehr Gemeinsamkeiten. Ich würde mir wünschen, dass der Austausch häufiger gepflegt wird, wir gemeinsame Feste feiern und uns auch außerhalb liturgischer Feste begegnen und im ständigen Dialog bleiben, um voneinander zu lernen. Jede Kirche hat ihre Schätze und Wahrheiten, es ist jedoch wichtig, in der christlichen Liebe, die Jesus sogar vor seiner Himmelfahrt den Jüngern auferlegte, „einander auf unserer Reise zu lieben, wie er uns geliebt hat“. Die Liebe verpflichtet uns als Christen, aber sie schafft zugleich auch für uns Gemeinschaft, gerade auch in den stürmischen Zeiten, wie sie die evangelische und katholische Kirche erleben. Sie erinnert uns aber auch, dass wir als Christen eine Familie in Jesus Christus, unserem gemeinsamen Ursprung sind, das gibt uns auch Verantwortung im gegenseitigen Handeln miteinander. Ich habe große Hoffnung und Zuversicht, dass auch wir Kopten eine eigene Kirche in Wiesbaden haben werden. Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn die katholische Kirche uns auf diesem Wege unterstützen könnte. Ich denke, es wäre sehr hilfreich hier Verantwortung für ein eigenes Kirchengebäude zu übernehmen und die katholische Kirche in Wiesbaden damit auch wirtschaftlich zu entlasten. Ich hoffe, wir finden darin die Hilfe und Unterstützung der Katholischen Kirche, so würden die teilweise leeren Gotteshäuser wieder mit christlichen Leben gefüllt werden und somit im christlichen Sinne des Glaubens als Orte der christlichen Sinnstiftung und in ihrer Widmung erhalten bleiben.
Lieber Herr Pfarrer Ohlig, ich bin Ihnen dankbar für das Vertrauen durch dieses Interview und freue mich, in Ihnen einen Kenner und Freund, einen Glaubensbruder gefunden zu haben. Gott segne Ihre Kirche und Gemeinde.
Die Fragen an Erzdiakon Ghattas stellte Pfr. Matthias Ohlig