St. Bonifatius Wiesbaden

Durchatmen

Gemeindebrief, Theologie SpiritualitätPhilippe Jaeck

„Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus“ (Mk 6, 30)

so sagt es Jesus seinen Jüngern, die erschöpft von ihrer Missionsreise zurückgekehrt sind. Die Jünger dürfen sich ausruhen. Sie sollen Zeit zum Durchatmen haben, um neue Kräfte sammeln zu können. Durchatmen können – das wünschen sich viele Menschen. Viele macht ihr persönlicher Alltag atemlos. Und es gibt ja vieles, was uns nach wie vor in Atem hält: der andauernde Krieg in der Ukraine etwa oder die noch nicht ganz überstandene Corona-Pandemie. Wenn es uns zu viel wird im Leben, dann sprechen wir ja auch davon, dass uns die Luft ausgeht oder uns die Luft wegbleibt.

Atmen ist lebensnotwendig. Wir Menschen atmen ca. 20.000 Mal pro Tag ein. Das geschieht ganz automatisch. Kein Wunder also, dass der Atem für uns zu einem Sinnbild des Lebens geworden ist.

Jesus weiß, dass die Jünger Zeit zum Durchatmen brauchen; er fordert sie selbst dazu auf, eine Pause zu machen. Die Mission Jesu darf kein Aktionismus sein, der am Ende immer ermüdend ist. Die Pause brauchen die Jünger für den Rückzug, um mit Jesus allein sein zu können, um ihm von ihrem Leben und ihren Erfahrungen zu berichten und um wieder neu auf ihn zu hören. Dies kann uns für die Kirche in unserer Zeit schon eine wichtige Mahnung sein: Es bedarf wohl eher weniger immer wieder neuer Prozesse und Programme und selbstgestrickter Entwicklungsperspektiven, die uns oft in Atem halten und selten die erhofften Früchte bringen, als vielmehr eines bewussten Rückzugs, um bei Gott auszuruhen, um neu auf die Stimme Jesu im Evangelium zu hören und um ganz im Gebet bei ihm zu sein. Durchatmen – das bedeutet in diesem Sinne, den Atem Gottes selbst in sich aufzunehmen. Dieser Atem Gottes ist der Heilige Geist. Schon am Anfang der Bibel lesen wir über die Erschaffung des Menschen, dass Gott ihm den Lebensatem einhaucht. Das Johannesevangelium berichtet uns schließlich, dass der auferstandene Christus die Apostel anhaucht und spricht: „Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20, 22). Das ist der wahre und schöpferische Atem der Kirche. Darum sollten wir dem Ruf Jesu zum Durchatmen folgen. Durch seinen Geist empfangen wir neue Lebenskraft im Glauben und können anderen den Raum zum Durchatmen und damit zum Leben neu öffnen: Armen und Kranken, vor Krieg Geflüchteten, Notleidenden und Einsamen, Suchenden und Fragenden.

Mit wunderbaren Worten bittet die Sequenz des Pfingstfestes um diesen göttlichen Atem: „Komm herab o Heilger Geist, der die finstre Nacht zerreißt, strahle Licht in diese Welt… In der Unrast schenkst du Ruh, hauchst in Hitze Kühlung zu, spendest Trost in Leid und Tod… Ohne dein lebendig Wehn kann im Menschen nichts bestehen, kann nichts heil sein noch gesund… Gib dem Volk, das dir vertraut, dass auf deine Hilfe baut, deine Gaben zum Geleit. Lass es in der Zeit bestehn, deines Heils Vollendung sehn und der Freuden Ewigkeit. Amen.“

Pfr. Klaus Nebel, Stadtdekan
Foto: St. Bonifatius Wiesbaden und Bernd Friedel / Adobe Stock