Das Pilgerbüro in Santiago de Compostela meldet ca. 500.000 Pilger im Jahr 2024. Der Vatikan informierte im Januar, dass bereits in den ersten zwei Wochen nach Beginn des Heiligen Jahres schon 545.532 Pilger die Heilige Pforte des Petersdoms durchschritten haben. Eine unglaubliche Zahl. In den letzten zehn Jahren sind unzählige neue Pilgerwege angelegt und alte aktiviert worden. Warum?
Die Gründe sind sicher sehr vielfältig. Aber selbst bei uns, wo die klassische kirchliche Sozialisation scheinbar verloren geht, boomt das Pilgern. Ein Grund ist sicher, dass Menschen im Pilgern ein wichtiges Grundelement des Glaubens finden: Glaube heißt, unterwegs sein. Einen Weg zu gehen. Glaube ist nichts, wo man ankommt und dann das Ziel erreicht hat. Glaube heißt Zweifeln. Glaube heißt Suchen. Glaube heißt Sehnsucht nach Gott.
Johannes vom Kreuz (Juan de la Cruz, 1542 bis 1591) beschreibt „dunkle Nächte“ seines Glaubens. Ähnlich wie im Psalm 22 „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“, schreibt er in einer für uns vielleicht fremden Sprache, sein Suchen und Sehnen nach Gott, den er als „Geliebter“ bezeichnet: „Wo hast Du Dich verborgen, Geliebter? Hast mit unserer Liebe mich alleine gelassen? …. Ich lief Dir nach und schrie nach Dir – und Du warst fortgegangen. … Meine Liebe suchen werde ich, Berge und Täler werde ich durchqueren, keine Blumen pflücken, keine Tiere fürchten, nur laufen, überschreiten alle Grenzen und Wehre. Ihr tiefen Wälder und ihr kleinen Gebüsche, hingepflanzt durch des Geliebten Hand, du grünendes Land mit Blumen geschmückt, sagt: ist er bei Euch vorbeigekommen?“
Gibt es eine schönere Beschreibung für die Sehnsucht nach Gott? Für das sich auf den Weg machen, ihn zu suchen? Pilgern ist die bewusste (oder auch unbewusste) Sehnsucht und Suche nach Gott. Pilgern ist die Erfahrung, ihm näher zu kommen, wenn ich mich auf den Weg mache. Das gilt zwar genauso (oder noch mehr) für unseren Alltag. Aber wo wird es so deutlich, wie wenn man Gottes Schöpfung durchschreitet, von nichts abgelenkt, auf sich selbst geworfen, nur gehen, gehen, gehen.
Die Erfahrung, dass er dann mitgeht, bei mir ist, die haben schon die Emmausjünger gemacht. ER ist dabei. Gar nicht so leicht zu erkennen. Aber er geht mit und hört und erschließt ihnen das Evangelium, als sie ihn in ihrer ganzen Not und Verzweiflung zunächst gar nicht erkennen. Und diese Begegnung schenkt ihnen neue Hoffnung. Als sie dann zu ihren Brüdern und Schwestern nach Jerusalem aufbrechen, tragen sie ihre Gotteserfahrung als Pilger der Hoffnung nicht nur nach Jerusalem, sondern in die Welt.
Pilgern der Hoffnung durfte ich im Laufe der Jahre auch immer wieder bei Sterbenden und Trauernden begegnen. Gerade da, wo der Lebensweg am schwersten war. Ich erlebte Menschen, die trotz der Schwere und Ausweglosigkeit ihrer Situation, an ihrem Glauben festhielten, sich von ihm getragen wussten. So oft haben wir gemeinsam den Psalm 23 gebetet „… und muss ich auch wandern durchs finstere Tal, ich fürchte kein Unheil, denn Du bist bei mir. Dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.“ In dieser schweren Situation sind sie Glaubenszeugen für Verwandte und Freunde geworden - Pilger der Hoffnung.
Das Heilige Jahr verweist mit seinem Titel „Pilger der Hoffnung“ auf das Unterwegs sein zu Gott, als Glaubende, aber auch als Fragende und Zweifelnde. Es lädt uns ein zum Pilgern, aber auch unser ganzes Leben als Pilgerweg zu begreifen. Und da er mitgeht, dürfen wir uns Pilger der Hoffnung nennen!
Andreas Schuh, Gemeindereferent
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