St. Bonifatius Wiesbaden

Gott Raum geben

GemeindebriefKatarzyna Klöckner

Sie sind oft viel zu groß, unsere Kirchen, auch zu hoch und schwer zu beheizen. Sie sind umständlich und aufwendig gebaut und scheinen daher wenig effizient und nicht sehr nützlich zu sein. Das stimmt. Nützlichkeit und Effizienz sind keine Kategorien für einen Kirchbau. Und doch, ja vielleicht gerade deshalb, sind unsere Kirchen so sinnvoll – und unbedingt notwendig!

Wenn eine Kirche errichtet wird, folgt die Kirchweihe durch den Bischof. Die Kirche wird zu einem heiligen Ort, der der Verehrung Gottes, dem Gebet und dem Gottesdienst vorbehalten ist. Das lateinische Wort für „heilig“ ist „sanctus“, was so viel bedeutet wie „abgetrennt vom Profanen“; das lateinische „profanum“ hingegen bedeutet „vor dem Heiligtum“, meint also die alltägliche Welt darum. So wird die Kirche zu einem ganz besonderen, eben heiligen Ort, um dort dem „Heiligen“, nämlich Gott selbst, zu begegnen. Eine Kirche ist kein Veranstaltungsort und auch nicht bloß religiöse Versammlungsstätte. Indem sie dem Gottesdienst vorbehalten ist, ist sie wirklich ein Haus Gottes. Schon die frühen Christen haben, als es noch keine Kirchbauten gab und man bisweilen wegen der unmittelbaren Gefahr der Verfolgung ja im Geheimen zum Sonntagsgottesdienst zusammenkam, in größeren Häusern von Gemeindemitgliedern einen eigenen Raum hergerichtet, der eigens für den Gottesdienst verwendet wurde; ebenso wurde ein Altartisch bereitgestellt, der ausschließlich für die Feier der Eucharistie und für nichts anderes verwendet wurde. 

Bei der Kirchweihe salbt der Bischof den Kirchenraum an zwölf Stellen mit heiligem Öl. Die biblische Zahl Zwölf steht für die Gesamtheit des Volkes Gottes. Der Kirchbau wird so einmal mehr zum Symbol für das, was die Kirche eigentlich ist: Die Kirche – so sagt es uns der Apostel Paulus – ist der Leib Christi; Christus ist das Haupt und wir sind die Glieder an diesem Leib. Wir alle gehören also zu Christus (dem Gesalbten). In der Salbung des Kirchenraums wird die Gemeinschaft des Gottesvolkes mit Christus sinnfällig. Auch der Altar wird an fünf Stellen gesalbt (für die fünf Wundmale Christi), ist damit ein Symbol für Christus selbst und wird so zur sichtbaren Mitte der Gemeinde, zu dem heiligen Ort, an dem der auferstandene Christus in den Gaben der Eucharistie in unsere Mitte kommt. So weist die Salbung des Altares darauf hin, dass Christus der Eckstein der Kirche ist, der den ganzen Bau der Kirche zusammenhält; die Gläubigen aber sollen lebendige Steine im Gefüge der Kirche sein.

Es ist gut und wichtig, dass wir mit unseren Kirchen heilige Orte haben. Wir leben heute in einer Welt, in der dem Menschen nichts mehr wirklich „heilig“ zu sein scheint. Es gibt keine Tabus mehr. Der Mensch macht sich über alles her; nichts mehr ist seinem Zugriff entzogen. In einer solchen Welt besteht einmal mehr die Gefahr, dass der Mensch sich auch über den Menschen selbst hermacht. Wird der Mensch selbst nur noch unter den herrschenden Kategorien der Nützlichkeit und der Effizienz betrachtet, ist es um die Menschlichkeit geschehen. Wer den Heiligen selbst, nämlich Gott aus dem Auge verliert, verliert auch leicht den Blick für den Menschen. Die unantastbare Würde des Menschen meint ja auch eine Unverfügbarkeit in diesem Sinne, die in der Unverfügbarkeit und damit in der Heiligkeit Gottes gründet, nach dessen Bild der Mensch geschaffen ist.

So gesehen sind unsere Kirchen unbedingt notwendige Orte. Indem die Kirche das unverfügbare Haus Gottes ist, sein Heiligtum, wird sie auch zum Raum, in dem der Mensch sein kann, zur Zufluchtsstätte des Menschen. Mit der Kirche geben wir Gott Raum in unserer Welt. Indem wir dies tun, findet auch der Mensch seinen Platz, an dem er wirklich leben kann. Von hier aus wird die Kirche zu einem Ausgangspunkt dafür, die Botschaft des Glaubens in Worten und Werken der Liebe hinauszutragen in die Welt zur Heiligung des Menschen.

Darum tun wir gut daran, in diesem Jahr mit großer Aufmerksamkeit und Freude den 175. Jahrestag der Weihe unserer Stadtpfarrkirche St. Bonifatius zu feiern. Mit ihren hoch aufragenden Türmen weist sie uns auf Gott hin als den, der unser Leben in seinen Händen hält. So lade ich alle ein, mit uns zu feiern und wünsche allen ein frohes Jubiläumsjahr.

Klaus Nebel, Pfarrer

Bild: wikimwdia.org/wikipedia/commons @DXR