Seit Jahren fahre ich im Urlaub immer wieder gern an den Comer See. Mein Standort ist ein Hotel oberhalb von Bellagio, der Perle des Comer Sees. Dort hat man einen wunderbaren Blick über den See und zur „Außenstelle Bundeskanzleramt“ des Bundeskanzlers Konrad Adenauer in seinem Urlaubsort Cadenabbia, wo er Boccia spielte und Staatschefs empfing…
Ich weiß nicht mehr in welchem Jahr es war, ich vermute in der Zeit vor der Seligsprechung, dass ich das erste Mal auf ihn aufmerksam geworden bin. In der Kirche des Borgo, des historischen Zentrums, war eine kleine Fotoausstellung über Teresio Olivelli, einen Sohn der Stadt. Ich verstand, dass er ein katholischer Widerständler war und im KZ Hersbruck umgebracht wurde. Danach wurde ich auch auf die Gedenktafel am Haus gegenüber aufmerksam, die mir vorher nie aufgefallen war. Am 7. Januar 1916 wurde er in diesem Haus geboren. Als er drei Jahre alt war, wurde im Erdgeschoss das bis heute bestehende und kaum veränderte Café „Bar Sport“ eröffnet.
Als er 10 Jahre alt war zog die Familie in die Poebene, in die Nähe von Vigevano, in der Provinz Pavia. Nach der Schule studierte er Jura am bedeutenden Collegium Ghislieri, benannt nach dem Gründer Antonio Ghislieri, Hl. Papst Pius V., in Pavia. Gefährten erlebten ihn als frommen Menschen mit intensivem Gebetsleben. Er engagierte sich in der „Azione Cattolica“ (Katholische Aktion), der italienischen Laienorganisation. Mitstudenten nannten ihn spöttisch: Pater Oliva.
Er war ein glühender Antikommunist, was durch die Unterdrückung der Christen durch die Stalinistische Diktatur in der Sowjetunion befeuert wurde. Dadurch ließ er sich, wie viele Katholiken, auf den Faschismus in Italien ein. Der Faschismus hat im Unterschied zum Nationalsozialismus konservative Kreise und das Establishment der Kirche auch eher umgarnt.
Olivelli sah zwar, was seiner gläubigen Sicht zuwider war, doch war er davon überzeugt, den Faschismus in seinem Sinn reformieren zu können.
Um die gottlosen Kommunisten und Anarchisten zu bekämpfen, wollte er sogar im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite Francos kämpfen. Er konnte davon abgehalten werden und promovierte stattdessen 1938 in Verwaltungsrecht. Er bekam gleich eine Assistenzprofessur in Turin. Dort engagierte er sich intensiv in sozialen Projekten, verstrickte sich aber auch immer mehr in das faschistische System, immer noch verblendet, dieses könnte ein christliches Gesicht bekommen.
Er wurde von der faschistischen Kulturbürokratie zu Fortbildungen u.a. nach Berlin geschickt. Was er dort erlebte, brachte sein Weltbild schon ins Wanken, aber noch nicht zum Einsturz. Er blieb eben strikter Antikommunist.
Freiwillig zog er als Mitglied der „Alpini“, der Elitetruppe der Gebirgsjäger, in den Russlandfeldzug. Dort kümmerte er sich besonders um die Leiden der Soldaten, die u.a. wegen der völlig unzulänglichen Ausrüstung im extremen Winter 1941/42 sehr litten.
1943 kehrte er nach Pavia zurück und wurde mit 26 Jahren bereits zum Rektor des Collegio Ghislieri! Doch bereits nach wenigen Wochen wurde er wieder eingezogen zu den Alpini in Sterzing in Südtirol. Dort wurde er von der Absetzung Mussolinis und dem Waffenstillstand überrascht. Deutsche Truppen haben ihn, wie alle italienischen Soldaten, derer sie habhaft werden konnten, als Kriegsgefangenen interniert.
Inzwischen war er regelrecht bekehrt und hatte sich gänzlich vom unmenschlichen und antichristlichen Faschismus und Nationalsozialismus abgewandt. Diesen neuen Weg ging er mit der ihm eigenen Konsequenz! Er verweigerte den Eid auf die „Republica Soziale“, eine Marionettenregierung Mussolinis von Hitlers Gnaden. Deshalb blieb er im Lager in Innsbruck. Er konnte aber fliehen und kam über das Salzburger Land nach Udine im Friaul. Dort schloss er sich dem katholischen Zweig der Freiheitsbewegung an, gab sich den Decknamen Agostino Gracchi und organisierte danach im Raum Brescia den Widerstand.
Er gründete mit Gefährten die Widerstandszeitung „il Ribelle“, der Rebell, denn er verstand sich selbst als Rebell, als Rebell aus Liebe! Dies kommt besonders in seinem „Gebet des Rebellen“ zum Ausdruck:
Herr, du hast unter den Menschen dein Kreuz aufgerichtet als Zeichen des Widerspruchs.
Du hast die Revolte des Geistes gegen die Perfidie der herrschenden Interessen gepredigt und die träge Taubheit der Massen ertragen.
Wir sind unterdrückt von einem schweren und grausamen Joch, die Quelle des freien Lebens ist versiegt, gib du uns die Kraft zur Rebellion.
Gott, du bist die Wahrheit und Freiheit, mach uns frei und stark.
Sei in unseren Vorhaben, stärke unseren Willen, vervielfache unsere Kraft, bekleide uns mit deiner Rüstung.
Wir flehen dich an, Herr.
Du wurdest verworfen, geschmäht, verraten, verfolgt und gekreuzigt, stärke uns in der Stunde der Finsternis mit deinem Sieg.
Sei du Lebenselixier in der Armut, Stütze in der Gefahr und Trost in der Bitterkeit.
Je mehr der Feind uns bedrängt, desto klarer und aufrichtiger lass uns sein.
Verschließe unsere Lippen, wenn wir gefoltert werden, stärke uns, damit wir nicht zerbrechen.
Wenn wir fallen, soll sich unser Blut mit deinem unschuldigen Blut und dem unserer Toten vereinen, um der Welt Gerechtigkeit und Nächstenliebe zu bringen.
Du hast gesagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“, gib dem schmerzhaften Italien ein Leben in Freiheit und Sicherheit.
Erlöse uns von der Versuchung der Feigheit; wache über unsere Familien.
Von den windigen Bergen und in den Katakomben der Stadt, aus den Tiefen der Gefängnisse, rufen wir dich:
Lass den Frieden in uns sein, den nur du allein geben kannst.
Herr des Friedens, du trägst das Schwert und den Ruhm,
erhöre das Gebet von uns Rebellen aus Liebe.
Am 27. April 1944 wurde er in Mailand gefasst und sollte zusammen mit 70 Gefangenen als „Vergeltungsmaßnahme“ für 7 getötete Soldaten erschossen werden. Der Erzbischof von Mailand konnte jedoch für ihn einen Aufschub erwirken. Olivelli wurde in das Übergangslager Fossoli verlegt. Ein enger Gefährte wurde dort ermordet, er konnte sich erst im Lager verstecken, wurde aber nach gescheiterten Fluchtversuchen entdeckt und zuerst nach Gries bei Bozen und dann nach Flossenbürg verbracht. Dort war auch ein anderer Widerständler aus christlichen Gesinnung, Dietrich Bonhoeffer! Zuletzt kam er ins Außenlager Hersbruck. Dort warf er sich, völlig abgezehrt und geschwächt, vor einen Mitgefangenen, der vom Aufseher brutal geprügelt wurde. Der wütende Aufseher trat Olivelli in den Bauch woran er am 17 Januar 1945 starb. Deshalb wird Teresio Olivelli auch als italienischer Maximilian Kolbe bezeichnet.
Am 3. Februar 2018 wurde er in Vigevano seliggesprochen! Ein „junger“ Seliger, bei uns unbekannt. Eine Schulklasse im fränkischen Hersbruck hat ihn mit einem Schulprojekt aus dem Vergessen geholt:
www.elkb-lebensraum-schule.de/fileadmin/content/Projekt-ausf%C3%BChrlich-mit-Fotos_01.pdf
Gerade aber in unserer Zeit, in der dieses antichristliche Gedankengut, teilweise auch mit Gewalt (Halle, Hanau…) oder im Schafspelz einer gewählten Partei versteckt, wieder zu Tage tritt, („...der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch...” - Bertolt Brecht) und sich auch leider in bestimmten „christlichen“ Kreisen einschleicht, brauchen wir solche Vorbilder, die den Weg aus dieser Verstrickung aufzeigen.
Gedenktag
17. Januar
(im Diözesankalender des Erzbistums Bamberg 5. Oktober)
Pfr. Matthias Ohlig
Foto: Von DALIBRI (detail by Rabanus Flavus) - File:Mariä Geburt - Hersbruck 035.jpg, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=71148238