Im Beten und Feiern der Kirche kennen wir die großen Zeiten des weihnachtlichen oder österlichen Festkreises. Darüber hinaus haben sich weitere Zuordnungen ergeben, etwa der Monat Mai als Marienmonat oder der Oktober als Rosenkranzmonat. Weniger bekannt dagegen ist, dass der Juni der Herz-Jesu Monat ist. Da das Herz-Jesu Fest immer auf den ersten Freitag nach der Fronleichnamsoktav fällt, liegt es zeitlich fast immer im Juni. Dadurch ist der Juni eine Zeit im Kirchenjahr, in der besonders der Blick auf das Herz Jesu fällt. Das Betrachten des Herzens Jesu führt uns dabei gewissermaßen zu einer Zusammenschau all dessen, was Christus für uns getan hat. Von daher erklärt es sich auch, dass die Verehrung des Herzens Jesu sich nicht bloß auf ein einzelnes Fest im Kirchenjahr beschränkt, sondern jeweils der erste Freitag im Monat den Blick auf das Herz Jesu richtet.
Die Verehrung des Herzens Jesu hat seine Ursprünge inhaltlich im Neuen Testament: Dass das Hochfest Herz-Jesu auf einen Freitag fällt, kommt nicht von ungefähr: der Karfreitag gibt den Blick auf den gekreuzigten Herrn frei und damit auch auf seine Seitenwunde, auf sein geöffnetes Herz. In der Ganzhingabe Christi am Kreuz, schließlich in seinem durchbohrten Herzen, ist uns die unendliche Liebe Gottes offenbar geworden: Gott hält nichts von sich zurück, er gibt uns alles, was er hat: Er schenkt sich uns selbst, sein Leib und Leben.
Darüber haben im Laufe der Kirchengeschichte sehr viele Gläubige immer wieder nachgedacht und immer wieder neue Perspektiven dieser Erlöserliebe Christi aufgezeigt: die Kirchenväter in der frühen Zeit der Kirche, die großen Kirchenlehrerinnen und Kirchenlehrer, die Gelehrten des Mittelalters und der Neuzeit. Immer wieder war das Herz Jesu auch Gegenstand der Kontemplation oder sogar der mystischen Erfahrung. Am bekanntesten sind hier die Erfahrungen der heiligen Margareta Maria Alacoque im 17. Jahrhundert. Von ihren Jesus-Visionen her setzte sie sich mit aller Kraft für die Verehrung des Herzens Jesu ein. Ein eigener liturgischer Festtag für das Herz-Jesu Fest ist bereits 1672 für das Bistum Rennes in Frankreich belegt. Die eigene liturgische Verehrung des Herzens Jesu breitete sich immer weiter in der Kirche aus, bis schließlich der Papst das Fest 1856 auf die ganze Kirche ausdehnte und 1899 in den Rang eines Hochfestes versetzte.
Was aber sagt uns das Herz-Jesu Fest? Das Herz ist ja das zentrale Organ des Menschen. Da Gefühle und Affekte auch physisch im menschlichen Herzen empfunden werden, ist es auch der Ort des seelisch-geistigen Erlebens und Wollens. Unser Sprachgebrauch verrät uns diesen Zusammenhang bis heute: Wir sprechen etwa von einem Herzensanliegen, oder davon, dass ein Herz zum anderen spricht, dass das eigene Herz für einen anderen schlägt, oder auch vom zerbrochenen Herzen usw. Das Herz scheint der Ort im Menschen zu sein, an dem die Einheit von Leib und Geist am deutlichsten erfahrbar wird. Das Herz ist so auch ein leiblich-geistiger Ausgangspunkt menschlicher Liebe.
Das geöffnete Herz Jesu am Kreuz macht deutlich, dass Gott uns Menschen mit seiner unerschöpflichen Liebe liebt. Er liebt uns – sagen wir so göttlich – aber mit einem wirklichen echten menschlichen Herzen! Indem Gott wirklich Mensch geworden ist in Jesus Christus, erlebt und erleidet er auch alle seine Erfahrungen mit einem menschlichen Herzen – so wie wir alle. Darin scheint das Paulus-Wort auf: Er war in allem uns gleich – außer der Sünde. Im Blick auf das Herz Jesu wird so einmal mehr deutlich, wie radikal der Schritt war, dass Gott wirklich Mensch geworden ist.
Im Schauen auf das Kreuz können wir nun sagen: Gott liebt uns mit einem menschlichen Herzen, ja mehr noch: Er schenkt uns tatsächlich leiblich und geistig sein Herz. Gott hat ein Herz für uns!
Diese Hingabe ist nicht folgenlos. Denn diese Liebe – da sie göttlich ist – ist stärker als der Tod. So erblicken wir im geöffneten Herzen Jesu auch die Auferstehung und damit sein und unser Ostern. Diese Liebe Jesu hat uns das ewige Leben gebracht. Durch diese Liebe Jesu können wir mit ihm für immer verbunden sein. So haben auch schon die Kirchenväter die geöffnete Seite Jesu gesehen, aus der Blut und Wasser hervortrat, nachdem ein Soldat ihm mit einer Lanze in die Seite stach, um sich von seinem Tod zu überzeugen. Darin erkannten die Väter ein Zeichen der Sakramente: Wasser für die Taufe und Blut für die Eucharistie. So beten wir es ja auch am Herz-Jesu Fest in der hl. Messe: „Aus seiner geöffneten Seite strömen Blut und Wasser, aus seinem durchbohrten Herzen entspringen die Sakramente der Kirche. Das Herz des Erlösers steht offen für alle, damit sie freudig schöpfen aus den Quellen des Heiles.“
So lässt uns die Verehrung des Herzens Jesu seine Menschwerdung, seine Hingabe am Kreuz, seinen Tod und seine Auferstehung betrachten und darin das innerste Geheimnis Gottes schauen: Gott ist die Liebe.
Das Herz-Jesu-Fest lädt uns einmal mehr dazu ein, den Pulsschlag des Herzens Jesu aufzunehmen, umzukehren, zu neuen Menschen zu werden, die seine Liebe in die Welt hinein ausbreiten.
Pfarrer Klaus Nebel
Foto: Hans Heindl / pfarrbriefservice