St. Bonifatius Wiesbaden

Gott ist im Fleische…

GemeindebriefPhilippe Jaeck

Es gehört nicht zu den bekannten und populären Weihnachtsliedern, dieses Lied des protestantischen Mystikers und Lieddichters Gerhard Tersteegen (1697 - 1769): „Jauchzet ihr Himmel, frohlocket ihr Chöre der Engel“!

Das „Gotteslob“ gönnt dem Text noch nicht einmal eine eigene Melodie, anders als das „Evangelische Gesangbuch“! Es unterlegt dem Text einfach die Melodie von „Lobe den Herren“.

In der vierten Strophe schreibt Tersteegen: „Gott ist im Fleische, wer kann dieses Geheimnis verstehen?“ Nicht nur unserem heutigen Sprachempfinden ist dieses „im Fleische“ fremd, gar anstößig. Da sind uns der „holde Knabe im lockigen Haar“, die ganze Szenerie mit Maria Josef, dem Stall, den Engeln und Hirten doch viel näher.

Doch Tersteegen greift den Kernsatz des großen Prologs des Johannesevangeliums auf: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“

Ja, da ist der „Stachel im Fleisch“! Darin liegt nicht nur sprachlich, sondern in der Sache, die Anstößigkeit der Weihnachtsbotschaft, ja der ganzen Botschaft!

Gott wird Mensch! Er ist nicht länger ein Gegenüber von uns, er ist einer von uns! Er tritt ein in unsere Geschichte, in unser Dasein!

Gerade die Inkarnation, wörtlich: die Fleischwerdung, beinhaltet die ganze christliche Botschaft: Krippe und Kreuz, die Versöhnung Gottes mit uns, Erlösung und Reich Gottes verdichten sich in diesem „Gott ist im Fleische“.

„Wer kann dieses Geheimnis ergründen?“ Es liegt eigentlich fern jeglicher religiöser Logik, die Fleischwerdung zu denken. Der ganz Andere wird Einer von uns! Gerade die Formulierung des Johannesevangeliums vom „Fleisch“ ist da bedeutsam, weil es das Hineingehen Gottes in unser Sein vollständig macht. Er zieht nicht nur einen menschlichen Leib, nach Paulus den guten Anteil des Menschen, er wird Fleisch, das schließt auch, was Paulus ablehnt, z. B. die Begierden.., ein. Gott wird Mensch mit allen Facetten des Menschseins. Nur ein Einziges unterscheidet den Menschgewordenen Gott von uns: die Sünde, denn er kann sich ja nicht von sich selbst trennen! Doch folgerichtig endet die Weihnachtszeit mit dem Fest der Taufe des Herrn. Der geliebte Sohn, der selbst sündenlos, solidarisiert sich mit den Sündern in der Taufe der Sünder des Johannes!

Gott ist im Fleische, das ist die Vollendung der geschöpflichen Gottebenbildlichkeit! So kann der Irenäus von Lyon sagen: „Die Verherrlichung Gottes ist der lebendige Mensch!“ oder Augustinus, zugegebenermaßen höchst steil, formulieren; „Gott wird Mensch, damit der Mensch Gott wird!“

Gott ist im Fleische gibt eine Antwort auf die Auseinandersetzung über den Weg der Kirche nach dem Konzil. Da wird oft der Vorwurf erhoben, die Kirche hätte sich von einer Hinwendung zu Gott weg, zu sehr nur dem Menschen zugewandt. Doch in der Fleischwerdung liegt ja, dass eine Gegenüberstellung von Theo- und Anthropozentrik nicht existiert, denn Gott selbst wendet sich dem Menschen zu! Doch zurecht liegt es auch an uns diese Zuwendung zu beantworten: in der letzten Strophe schreibt Tersteegen: „Süßer Immanuel, er auch in mir nun geboren, komm doch, mein Heiland, denn ohne dich bin ich verloren! Wohne in mir, mach ganz eines mit dir, der du mich liebend erkoren,“ oder wie Angelus Silesius eine Generation früher sagt: „Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren, und nicht in dir; du bleibst doch ewiglich verloren.“. Die Fleischwerdung ist erst vollständig, wenn die menschliche Geburt Gottes die Antwort in der Gottesgeburt im Menschen findet!

Pfr. Matthias Ohlig
Quellen: Gotteslob Nr. 251; Cherubinischer Wandersmann, Erstes Buch, Sentenz 61